hnlicher Auffassung, es war ?brigens ein neueres Bild. Er steckte die Lampe ein und kehrte wieder zu seinem Platz zur?ck.
Es war nun schon wahrscheinlich unn?tig, auf den Italiener zu warten, drau?en war aber gewi? str?mender Regen, und da es hier nicht so kalt war, wie K. erwartet hatte, beschlo? er, vorl?ufig hierzubleiben. In seiner Nachbarschaft war die gro?e Kanzel, auf ihrem kleinen, runden Dach waren halb liegend zwei leere, goldene Kreuze angebracht, die einander mit ihrer ?u?ersten Spitze ?berquerten. Die Au?enwand der Br?stung und der ?bergang zur tragenden S?ule war von gr?nem Laubwerk gebildet, in das kleine Engel griffen, bald lebhaft, bald ruhend. K. trat vor die Kanzel und untersuchte sie von allen Seiten, die Bearbeitung des Steines war ?beraus sorgf?ltig, das tiefe Dunkel zwischen dem Laubwerk und hinter ihm schien wie eingefangen und festgehalten, K. legte seine Hand in eine solche L?cke und tastete dann den Stein vorsichtig ab, von dem Dasein dieser Kanzel hatte er bisher gar nicht gewu?t. Da bemerkte er zuf?llig hinter der n?chsten Bankreihe einen Kirchendiener, der dort in einem h?ngenden, faltigen, schwarzen Rock stand, in der linken Hand eine Schnupftabakdose hielt und ihn betrachtete. Was will denn der Mann? dachte K. Bin ich ihm verd?chtig? Will er ein Trinkgeld? Als sich aber nun der Kirchendiener von K. bemerkt sah, zeigte er mit der Rechten, zwischen zwei Fingern hielt er noch eine Prise Tabak, in irgendeiner unbestimmten Richtung. Sein Benehmen war fast unverst?ndlich, K. wartete noch ein Weilchen, aber der Kirchendiener h?rte nicht auf, mit der Hand etwas zu zeigen und bekr?ftigte es noch durch Kopfnicken. »Was will er denn?« fragte K. leise, er wagte es nicht, hier zu rufen; dann aber zog er die Geldtasche und dr?ngte sich durch die n?chste Bank, um zu dem Mann zu kommen. Doch dieser machte sofort eine abwehrende Bewegung mit der Hand, zuckte die Schultern und hinkte davon. Mit einer ?hnlichen Gangart, wie es dieses eilige Hinken war, hatte K. als Kind das Reiten auf Pferden nachzuahmen versucht. »Ein kindischer Alter«, dachte K., »sein Verstand reicht nur noch zum Kirchendienst aus. Wie er stehenbleibt, wenn ich stehe, und wie er lauert, ob ich weitergehen will.« L?chelnd folgte K. dem Alten durch das ganze Seitenschiff fast bis zur H?he des Hauptaltars, der Alte h?rte nicht auf, etwas zu zeigen, aber K. drehte sich absichtlich nicht um, das Zeigen hatte keinen anderen Zweck, als ihn von der Spur des Alten abzubringen. Schlie?lich lie? er wirklich von ihm, er wollte ihn nicht zu sehr ?ngstigen, auch wollte er die Erscheinung, f?r den Fall, da? der Italiener doch noch kommen sollte, nicht ganz verscheuchen.
Als er in das Hauptschiff trat, um seinen Platz zu suchen, auf dem er das Album liegengelassen hatte, bemerkte er an einer S?ule, fast angrenzend an die B?nke des Altarchors, eine kleine Nebenkanzel, ganz einfach, aus kahlem, bleichem Stein. Sie war so klein, da? sie aus der Ferne wie eine noch leere Nische erschien, die f?r die Aufnahme einer Heiligenstatue bestimmt war. Der Prediger konnte gewi? keinen vollen Schritt von der Br?stung zur?cktreten. Au?erdem begann die steinerne Einw?lbung der Kanzel ungew?hnlich tief und stieg, zwar ohne jeden Schmuck, aber derartig geschweift in die H?he, da? ein mittelgro?er Mann dort nicht aufrecht stehen konnte, sondern sich dauernd ?ber die Br?stung vorbeugen mu?te. Das Ganze war wie zur Qual des Predigers bestimmt, es war unverst?ndlich, wozu man diese Kanzel ben?tigte, da man doch die andere, gro?e und so kunstvoll geschm?ckte zur Verf?gung hatte.
K. w?re auch diese kleine Kanzel gewi? nicht aufgefallen, wenn nicht oben eine Lampe befestigt gewesen w?re, wie man sie kurz vor einer Predigt bereitzustellen pflegt. Sollte jetzt etwa eine Predigt stattfinden? In der leeren Kirche? K. sah an der Treppe hinab, die an die S?ule sich anschmiegend zur Kanzel f?hrte und so schmal war, als sollte sie nicht f?r Menschen, sondern nur zum Schmuck der S?ule dienen. Aber unten an der Kanzel, K. l?chelte vor Staunen, stand wirklich der Geistliche, hielt die Hand am Gel?nder, bereit aufzusteigen, und sah auf K. hin. Dann nickte er ganz leicht mit dem Kopf, worauf K. sich bekreuzigte und verbeugte, was er schon fr?her h?tte tun sollen. Der Geistliche gab sich einen kleinen Aufschwung und stieg mit kurzen, schnellen Schritten die Kanzel hinauf. Sollte wirklich eine Predigt beginnen? War vielleicht der Kirchendiener doch nicht so ganz vom Verstand verlassen und hatte K. dem Prediger zutreiben wollen, was allerdings in der leeren Kirche ?u?erst notwendig gewesen war? ?brigens gab es ja noch irgendwo vor einem Marienbild ein altes Weib, das auch h?tte kommen sollen. Und wenn es schon eine Predigt sein sollte, warum wurde sie nicht von der Orgel eingeleitet? Aber die blieb still und blinkte nur schwach aus der Finsternis ihrer gro?en H?he.
K. dachte daran, ob er sich jetzt nicht eiligst entfernen sollte, wenn er es jetzt nicht tat, war keine Aussicht, da? er es w?hrend der Predigt tun k?nnte, er mu?te dann bleiben, solange sie dauerte, im B?ro verlor er soviel Zeit, auf den Italiener zu warten, war er l?ngst nicht mehr verpflichtet, er sah auf seine Uhr, es war elf. Aber konnte denn wirklich gepredigt werden? Konnte K. allein die Gemeinde darstellen? Wie, wenn er ein Fremder gewesen w?re, der nur die Kirche besichtigen wollte? Im Grunde war er auch nichts anderes. Es war unsinnig, daran zu denken, da? gepredigt werden sollte, jetzt um elf Uhr, an einem Werktag, bei gr??lichstem Wetter. Der Geistliche – ein Geistlicher war es zweifellos, ein junger Mann mit glattem, dunklem Gesicht – ging offenbar nur hinauf, um die Lampe zu l?schen, die irrt?mlich angez?ndet worden war.
Es war aber nicht so, der Geistliche pr?fte vielmehr das Licht und schraubte es noch ein wenig auf, dann drehte er sich langsam der Br?stung zu, die er vom an der kantigen Einfassung mit beiden H?nden erfa?te. So stand er eine Zeitlang und blickte, ohne den Kopf zu r?hren, umher. K. war ein gro?es St?ck zur?ckgewichen und lehnte mit den Ellbogen an der vordersten Kirchenbank. Mit unsicheren Augen sah er irgendwo, ohne den Ort genau zu bestimmen, den Kirchendiener, mit krummem R?cken, friedlich, wie nach beendeter Aufgabe, sich zusammenkauern. Was f?r eine Stille herrschte jetzt im Dom! Aber K. mu?te sie st?ren, er hatte nicht die Absicht, hierzubleiben; wenn es die Pflicht des Geistlichen war, zu einer bestimmten Stunde, ohne R?cksicht auf die Umst?nde, zu predigen, so mochte er es tun, es w?rde auch ohne K.s Beistand gelingen, ebenso wie die Anwesenheit K.s die Wirkung gewi? nicht steigem w?rde. Langsam setzte sich also K. in Gang, tastete sich auf den Fu?spitzen an der Bank hin, kam dann in den breiten Hauptweg und ging dort ganz ungest?rt, nur da? der steinerne Boden unter dem leisesten Schritt erklang und die W?lbungen schwach, aber ununterbrochen, in vielfachem, gesetzm??igem Fortschreiten davon widerhallten. K. f?hlte sich ein wenig verlassen, als er dort, vom Geistlichen vielleicht beobachtet, zwischen den leeren B?nken allein hindurchging, auch schien ihm die Gr??e des Doms gerade an der Grenze des f?r Menschen noch Ertr?glichen zu liegen. Als er zu seinem fr?heren Platz kam, haschte er f?rmlich, ohne weiteren Aufenthalt, nach dem dort liegengelassenen Album und nahm es an sich. Fast hatte er schon das Gebiet der B?nke verlassen und n?herte sich dem freien Raum, der zwischen ihnen und dem Ausgang lag, als er zum erstenmal die Stimme des Geistlichen h?rte. Eine m?chtige, ge?bte Stimme. Wie durchdrang sie den zu ihrer Aufnahme bereiten Dom! Es war aber nicht die Gemeinde, die der Geistliche anrief, es war ganz eindeutig, und es gab keine Ausfl?chte, er rief: »Josef K.!«
K. stockte und sah vor sich auf den Boden. Vorl?ufig war er noch frei, er konnte noch weitergehen und durch eine der drei kleinen, dunklen Holzt?ren, die nicht weit vor ihm waren, sich davonmachen. Es w?rde eben bedeuten, da? er nicht verstanden hatte, oder da? er zwar verstanden hatte, sich aber darum nicht k?mmern wollte. Falls er sich aber umdrehte, war er festgehalten, denn dann hatte er das Gest?ndnis gemacht, da? er gut verstanden hatte, da? er wirklich der Angerufene war und da? er auch folgen wollte. H?tte der Geistliche nochmals gerufen, w?re K. gewi? fortgegangen, aber da alles still blieb, solange K. auch wartete, drehte er doch ein wenig den Kopf, denn er wollte sehen, was der Geistliche jetzt mache. Er stand ruhig auf der Kanzel wie fr?her, es war aber deutlich zu sehen, da? er K.s Kopfwendung bemerkt hatte. Es w?re ein kindliches Versteckenspiel gewesen, wenn sich jetzt K. nicht vollst?ndig umgedreht h?tte. Er tat es und wurde vom Geistlichen durch ein Winken des Fingers n?her gerufen. Da jetzt alles offen geschehen konnte, lief er – er tat es auch aus Neugierde und um die Angelegenheit abzuk?rzen – mit langen, fliegenden Schritten der Kanzel entgegen. Bei den ersten B?nken machte er halt, aber dem Geistlichen schien die Entfernung noch zu gro?, er streckte die Hand aus und zeigte mit dem scharf gesenkten Zeigefinger auf eine Stelle knapp vor der Kanzel. K. folgte auch darin, er mu?te auf diesem Platz den Kopfschon weit zur?ckbeugen, um den Geistlichen noch zu sehen. »Du bist Josef K.«, sagte der Geistliche und erhob eine Hand auf der Br?stung in einer unbestimmten Bewegung. »Ja«, sagte K., er dachte daran, wie offen er fr?her immer seinen Namen genannt hatte, seit einiger Zeit war er ihm eine Last, auch kannten jetzt seinen Namen Leute, mit denen er zum erstenmal zusammenkam, wie sch?n war es, sich zuerst vorzustellen und dann erst gekannt zu werden. »Du bist angeklagt«, sagte der Geistliche besonders leise. »Ja«, sagte K., »man hat mich davon verst?ndigt.« »Dann bist du der, den ich suche«, sagte der Geistliche. »Ich bin der Gef?ngniskaplan.« »Ach so«, sagte K. »Ich habe dich hierher rufen lassen«, sagte der Geistliche, »um mit dir zu sprechen.« »Ich wu?te es nicht«, sagte K. »Ich bin hierhergekommen, um einem Italiener den Dom zu zeigen.« »La? das Nebens?chliche«, sagte der Geistliche. »Was h?ltst du in der Hand? Ist es ein Gebetbuch?« »Nein«, antwortete K., »es ist ein Album der st?dtischen Sehensw?rdigkeiten.« »Leg es aus der Hand«, sagte der Geistliche. K. warf es so heftig weg, da? es aufklappte und mit zerdr?ckten Bl?ttern ein St?ck ?ber den Boden schleifte. »Wei?t du, da? dein Proze? schlecht steht?« fragte der Geistliche. »Es scheint mir auch so«, sagte K. »Ich habe mir alle M?he gegeben, bisher aber ohne Erfolg. Allerdings habe ich die Eingabe noch nicht fertig.« »Wie stellst du dir das Ende vor?« fragte der Geistliche. »Fr?her dachte ich, es m?sse gut enden«, sagte K., »jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich wei? nicht, wie es enden wird. Wei?t du es?« »Nein«, sagte der Geistliche, »aber ich f?rchte, es wird schlecht enden. Man h?lt dich f?r schuldig. Dein Proze? wird vielleicht ?ber ein niedriges Gericht gar nicht hinauskommen. Man h?lt wenigstens vorl?ufig deine Schuld f?r erwiesen.« »Ich bin aber nicht schuldig«, sagte K., »es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch ?berhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.« »Das ist richtig«, sagte der Geistliche, »aber so pflegen die Schuldigen zu reden.« »Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?« fragte K. »Ich habe kein Vorurteil gegen dich«, sagte der Geistliche. »Ich danke dir«, sagte K., »alle anderen aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein Vorurteil gegen mich. Sie fl??en es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger.« »Du mi?verstehst die Tatsachen«, sagte der Geistliche, »das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allm?hlich ins Urteil ?ber.« »So ist es also«, sagte K. und senkte den Kopf. »Was willst du n?chstens in deiner Sache tun?« fragte der Geistliche. »Ich will noch Hilfe suchen«, sagte K. und hob den Kopf, um zu sehen, wie der Geistliche es beurteile.
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Es war nun schon wahrscheinlich unn?tig, auf den Italiener zu warten, drau?en war aber gewi? str?mender Regen, und da es hier nicht so kalt war, wie K. erwartet hatte, beschlo? er, vorl?ufig hierzubleiben. In seiner Nachbarschaft war die gro?e Kanzel, auf ihrem kleinen, runden Dach waren halb liegend zwei leere, goldene Kreuze angebracht, die einander mit ihrer ?u?ersten Spitze ?berquerten. Die Au?enwand der Br?stung und der ?bergang zur tragenden S?ule war von gr?nem Laubwerk gebildet, in das kleine Engel griffen, bald lebhaft, bald ruhend. K. trat vor die Kanzel und untersuchte sie von allen Seiten, die Bearbeitung des Steines war ?beraus sorgf?ltig, das tiefe Dunkel zwischen dem Laubwerk und hinter ihm schien wie eingefangen und festgehalten, K. legte seine Hand in eine solche L?cke und tastete dann den Stein vorsichtig ab, von dem Dasein dieser Kanzel hatte er bisher gar nicht gewu?t. Da bemerkte er zuf?llig hinter der n?chsten Bankreihe einen Kirchendiener, der dort in einem h?ngenden, faltigen, schwarzen Rock stand, in der linken Hand eine Schnupftabakdose hielt und ihn betrachtete. Was will denn der Mann? dachte K. Bin ich ihm verd?chtig? Will er ein Trinkgeld? Als sich aber nun der Kirchendiener von K. bemerkt sah, zeigte er mit der Rechten, zwischen zwei Fingern hielt er noch eine Prise Tabak, in irgendeiner unbestimmten Richtung. Sein Benehmen war fast unverst?ndlich, K. wartete noch ein Weilchen, aber der Kirchendiener h?rte nicht auf, mit der Hand etwas zu zeigen und bekr?ftigte es noch durch Kopfnicken. »Was will er denn?« fragte K. leise, er wagte es nicht, hier zu rufen; dann aber zog er die Geldtasche und dr?ngte sich durch die n?chste Bank, um zu dem Mann zu kommen. Doch dieser machte sofort eine abwehrende Bewegung mit der Hand, zuckte die Schultern und hinkte davon. Mit einer ?hnlichen Gangart, wie es dieses eilige Hinken war, hatte K. als Kind das Reiten auf Pferden nachzuahmen versucht. »Ein kindischer Alter«, dachte K., »sein Verstand reicht nur noch zum Kirchendienst aus. Wie er stehenbleibt, wenn ich stehe, und wie er lauert, ob ich weitergehen will.« L?chelnd folgte K. dem Alten durch das ganze Seitenschiff fast bis zur H?he des Hauptaltars, der Alte h?rte nicht auf, etwas zu zeigen, aber K. drehte sich absichtlich nicht um, das Zeigen hatte keinen anderen Zweck, als ihn von der Spur des Alten abzubringen. Schlie?lich lie? er wirklich von ihm, er wollte ihn nicht zu sehr ?ngstigen, auch wollte er die Erscheinung, f?r den Fall, da? der Italiener doch noch kommen sollte, nicht ganz verscheuchen.
Als er in das Hauptschiff trat, um seinen Platz zu suchen, auf dem er das Album liegengelassen hatte, bemerkte er an einer S?ule, fast angrenzend an die B?nke des Altarchors, eine kleine Nebenkanzel, ganz einfach, aus kahlem, bleichem Stein. Sie war so klein, da? sie aus der Ferne wie eine noch leere Nische erschien, die f?r die Aufnahme einer Heiligenstatue bestimmt war. Der Prediger konnte gewi? keinen vollen Schritt von der Br?stung zur?cktreten. Au?erdem begann die steinerne Einw?lbung der Kanzel ungew?hnlich tief und stieg, zwar ohne jeden Schmuck, aber derartig geschweift in die H?he, da? ein mittelgro?er Mann dort nicht aufrecht stehen konnte, sondern sich dauernd ?ber die Br?stung vorbeugen mu?te. Das Ganze war wie zur Qual des Predigers bestimmt, es war unverst?ndlich, wozu man diese Kanzel ben?tigte, da man doch die andere, gro?e und so kunstvoll geschm?ckte zur Verf?gung hatte.
K. w?re auch diese kleine Kanzel gewi? nicht aufgefallen, wenn nicht oben eine Lampe befestigt gewesen w?re, wie man sie kurz vor einer Predigt bereitzustellen pflegt. Sollte jetzt etwa eine Predigt stattfinden? In der leeren Kirche? K. sah an der Treppe hinab, die an die S?ule sich anschmiegend zur Kanzel f?hrte und so schmal war, als sollte sie nicht f?r Menschen, sondern nur zum Schmuck der S?ule dienen. Aber unten an der Kanzel, K. l?chelte vor Staunen, stand wirklich der Geistliche, hielt die Hand am Gel?nder, bereit aufzusteigen, und sah auf K. hin. Dann nickte er ganz leicht mit dem Kopf, worauf K. sich bekreuzigte und verbeugte, was er schon fr?her h?tte tun sollen. Der Geistliche gab sich einen kleinen Aufschwung und stieg mit kurzen, schnellen Schritten die Kanzel hinauf. Sollte wirklich eine Predigt beginnen? War vielleicht der Kirchendiener doch nicht so ganz vom Verstand verlassen und hatte K. dem Prediger zutreiben wollen, was allerdings in der leeren Kirche ?u?erst notwendig gewesen war? ?brigens gab es ja noch irgendwo vor einem Marienbild ein altes Weib, das auch h?tte kommen sollen. Und wenn es schon eine Predigt sein sollte, warum wurde sie nicht von der Orgel eingeleitet? Aber die blieb still und blinkte nur schwach aus der Finsternis ihrer gro?en H?he.
K. dachte daran, ob er sich jetzt nicht eiligst entfernen sollte, wenn er es jetzt nicht tat, war keine Aussicht, da? er es w?hrend der Predigt tun k?nnte, er mu?te dann bleiben, solange sie dauerte, im B?ro verlor er soviel Zeit, auf den Italiener zu warten, war er l?ngst nicht mehr verpflichtet, er sah auf seine Uhr, es war elf. Aber konnte denn wirklich gepredigt werden? Konnte K. allein die Gemeinde darstellen? Wie, wenn er ein Fremder gewesen w?re, der nur die Kirche besichtigen wollte? Im Grunde war er auch nichts anderes. Es war unsinnig, daran zu denken, da? gepredigt werden sollte, jetzt um elf Uhr, an einem Werktag, bei gr??lichstem Wetter. Der Geistliche – ein Geistlicher war es zweifellos, ein junger Mann mit glattem, dunklem Gesicht – ging offenbar nur hinauf, um die Lampe zu l?schen, die irrt?mlich angez?ndet worden war.
Es war aber nicht so, der Geistliche pr?fte vielmehr das Licht und schraubte es noch ein wenig auf, dann drehte er sich langsam der Br?stung zu, die er vom an der kantigen Einfassung mit beiden H?nden erfa?te. So stand er eine Zeitlang und blickte, ohne den Kopf zu r?hren, umher. K. war ein gro?es St?ck zur?ckgewichen und lehnte mit den Ellbogen an der vordersten Kirchenbank. Mit unsicheren Augen sah er irgendwo, ohne den Ort genau zu bestimmen, den Kirchendiener, mit krummem R?cken, friedlich, wie nach beendeter Aufgabe, sich zusammenkauern. Was f?r eine Stille herrschte jetzt im Dom! Aber K. mu?te sie st?ren, er hatte nicht die Absicht, hierzubleiben; wenn es die Pflicht des Geistlichen war, zu einer bestimmten Stunde, ohne R?cksicht auf die Umst?nde, zu predigen, so mochte er es tun, es w?rde auch ohne K.s Beistand gelingen, ebenso wie die Anwesenheit K.s die Wirkung gewi? nicht steigem w?rde. Langsam setzte sich also K. in Gang, tastete sich auf den Fu?spitzen an der Bank hin, kam dann in den breiten Hauptweg und ging dort ganz ungest?rt, nur da? der steinerne Boden unter dem leisesten Schritt erklang und die W?lbungen schwach, aber ununterbrochen, in vielfachem, gesetzm??igem Fortschreiten davon widerhallten. K. f?hlte sich ein wenig verlassen, als er dort, vom Geistlichen vielleicht beobachtet, zwischen den leeren B?nken allein hindurchging, auch schien ihm die Gr??e des Doms gerade an der Grenze des f?r Menschen noch Ertr?glichen zu liegen. Als er zu seinem fr?heren Platz kam, haschte er f?rmlich, ohne weiteren Aufenthalt, nach dem dort liegengelassenen Album und nahm es an sich. Fast hatte er schon das Gebiet der B?nke verlassen und n?herte sich dem freien Raum, der zwischen ihnen und dem Ausgang lag, als er zum erstenmal die Stimme des Geistlichen h?rte. Eine m?chtige, ge?bte Stimme. Wie durchdrang sie den zu ihrer Aufnahme bereiten Dom! Es war aber nicht die Gemeinde, die der Geistliche anrief, es war ganz eindeutig, und es gab keine Ausfl?chte, er rief: »Josef K.!«
K. stockte und sah vor sich auf den Boden. Vorl?ufig war er noch frei, er konnte noch weitergehen und durch eine der drei kleinen, dunklen Holzt?ren, die nicht weit vor ihm waren, sich davonmachen. Es w?rde eben bedeuten, da? er nicht verstanden hatte, oder da? er zwar verstanden hatte, sich aber darum nicht k?mmern wollte. Falls er sich aber umdrehte, war er festgehalten, denn dann hatte er das Gest?ndnis gemacht, da? er gut verstanden hatte, da? er wirklich der Angerufene war und da? er auch folgen wollte. H?tte der Geistliche nochmals gerufen, w?re K. gewi? fortgegangen, aber da alles still blieb, solange K. auch wartete, drehte er doch ein wenig den Kopf, denn er wollte sehen, was der Geistliche jetzt mache. Er stand ruhig auf der Kanzel wie fr?her, es war aber deutlich zu sehen, da? er K.s Kopfwendung bemerkt hatte. Es w?re ein kindliches Versteckenspiel gewesen, wenn sich jetzt K. nicht vollst?ndig umgedreht h?tte. Er tat es und wurde vom Geistlichen durch ein Winken des Fingers n?her gerufen. Da jetzt alles offen geschehen konnte, lief er – er tat es auch aus Neugierde und um die Angelegenheit abzuk?rzen – mit langen, fliegenden Schritten der Kanzel entgegen. Bei den ersten B?nken machte er halt, aber dem Geistlichen schien die Entfernung noch zu gro?, er streckte die Hand aus und zeigte mit dem scharf gesenkten Zeigefinger auf eine Stelle knapp vor der Kanzel. K. folgte auch darin, er mu?te auf diesem Platz den Kopfschon weit zur?ckbeugen, um den Geistlichen noch zu sehen. »Du bist Josef K.«, sagte der Geistliche und erhob eine Hand auf der Br?stung in einer unbestimmten Bewegung. »Ja«, sagte K., er dachte daran, wie offen er fr?her immer seinen Namen genannt hatte, seit einiger Zeit war er ihm eine Last, auch kannten jetzt seinen Namen Leute, mit denen er zum erstenmal zusammenkam, wie sch?n war es, sich zuerst vorzustellen und dann erst gekannt zu werden. »Du bist angeklagt«, sagte der Geistliche besonders leise. »Ja«, sagte K., »man hat mich davon verst?ndigt.« »Dann bist du der, den ich suche«, sagte der Geistliche. »Ich bin der Gef?ngniskaplan.« »Ach so«, sagte K. »Ich habe dich hierher rufen lassen«, sagte der Geistliche, »um mit dir zu sprechen.« »Ich wu?te es nicht«, sagte K. »Ich bin hierhergekommen, um einem Italiener den Dom zu zeigen.« »La? das Nebens?chliche«, sagte der Geistliche. »Was h?ltst du in der Hand? Ist es ein Gebetbuch?« »Nein«, antwortete K., »es ist ein Album der st?dtischen Sehensw?rdigkeiten.« »Leg es aus der Hand«, sagte der Geistliche. K. warf es so heftig weg, da? es aufklappte und mit zerdr?ckten Bl?ttern ein St?ck ?ber den Boden schleifte. »Wei?t du, da? dein Proze? schlecht steht?« fragte der Geistliche. »Es scheint mir auch so«, sagte K. »Ich habe mir alle M?he gegeben, bisher aber ohne Erfolg. Allerdings habe ich die Eingabe noch nicht fertig.« »Wie stellst du dir das Ende vor?« fragte der Geistliche. »Fr?her dachte ich, es m?sse gut enden«, sagte K., »jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich wei? nicht, wie es enden wird. Wei?t du es?« »Nein«, sagte der Geistliche, »aber ich f?rchte, es wird schlecht enden. Man h?lt dich f?r schuldig. Dein Proze? wird vielleicht ?ber ein niedriges Gericht gar nicht hinauskommen. Man h?lt wenigstens vorl?ufig deine Schuld f?r erwiesen.« »Ich bin aber nicht schuldig«, sagte K., »es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch ?berhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.« »Das ist richtig«, sagte der Geistliche, »aber so pflegen die Schuldigen zu reden.« »Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?« fragte K. »Ich habe kein Vorurteil gegen dich«, sagte der Geistliche. »Ich danke dir«, sagte K., »alle anderen aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein Vorurteil gegen mich. Sie fl??en es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger.« »Du mi?verstehst die Tatsachen«, sagte der Geistliche, »das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allm?hlich ins Urteil ?ber.« »So ist es also«, sagte K. und senkte den Kopf. »Was willst du n?chstens in deiner Sache tun?« fragte der Geistliche. »Ich will noch Hilfe suchen«, sagte K. und hob den Kopf, um zu sehen, wie der Geistliche es beurteile.
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